Die Gesellschaft im Gefängnis San Pedro


Ein Gefängnis stellt sich jeder mehr oder weniger gleich vor: hohe Mauern, Zellen, Insassen, Wärter und strenge Regeln. Doch im Gefängnis San Pedro in der bolivianischen Hauptstadt ist alles anders, sodass sich eine eigene Gesellschaft in diesem Mikrokosmos herausbildete.

San Pedro – Das Gefängnis ist eine Welt für sich

Die erste Besonderheit der Vollzugsanstalt San Pedro ist, dass es sich um das höchstgelegene Gefängnis der Erde handelt. 3.600 Meter über dem Meeresspiegel ist die Luft aber noch nicht derart dünn, dass man eine verrückte Idee der Justizbehörden vermuten müsste, wenn man hört, dass die strenge Hand des Staates in diesem Knast außen vor ist – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Denn im Knast gibt es keine Wachen, die überwachen das Ganze von draußen. Wenn man denn von „überwachen“ reden kann.

San Pedro
Szene aus dem Gefängnis San Pedro. Quelle: Wikipedia/Bogota Bike Tours

Es sind die Gefangenen selbst, die San Pedro organisieren. Warum das hier in La Paz so ist? Schwer zu sagen. Es hat sich über die Jahrzehnte einfach so ergeben. Mehr als 100 Jahre hat das Gefängnis bereits auf dem Buckel. Und die Vermutung liegt nah, dass der Staat es irgendwann einfach aufgegeben hat, hier den Aufpasser spielen zu wollen. Oder auch zu können. Heute ist es eine eigene Kleinstadt mit ein paar tausend Einwohnern – und eigenen Regeln.

Ein Gefängnis mit Restaurants und Co.

Der bolivianische Staat hat die Gestaltung des Innenlebens in San Pedro den Insassen überlassen. Doch was heißt schon Insassen. Hier leben nicht nur die Gefangenen, sondern auch deren Familien. Ehen werden im Gefängnis geschlossen und die Kinder wachsen hier auf. Es gibt Restaurants, die die Knackis betreiben. Es gibt Marktstände und Souvenirshops für die Touristen, die hier umherflanieren und das Koks probieren dürfen. Das wird natürlich von den Insassen fabriziert. Was es nicht gibt, sind Gitterstäbe oder Wachhabende in Uniform. Ist das die ultimative Anarchie?


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Jedenfalls nicht dort, wo die wohlhabenderen Häftlinge einsitzen. Die haben Fernseher, Gasherd, Platz für die Familie. Nur dort, wo die ärmsten Gefangenen einsitzen, geht es anarchisch zu. Geschlafen wird im Dreck, gedealt mit den armseligen Überresten, die bei der Koksherstellung anfallen: Crack. Die Wärter außerhalb der Mauern interessiert das nicht. Der Staat preist dieses Nicht-System als modern und integrativ an. Der vollen Wahrheit entspricht das nicht. Gewalt, Drogen und Morde prägen die täglichen Nachrichten aus dem Gefängnis San Pedro. Dabei bedeutet La Paz auf Deutsch „Frieden“.

Freiwillig in die Hölle

Es gibt einen Menschen, der vier Monate in diesem Inferno verbracht hat – aus freien Stücken. Rusty Young, ein Australier, ist vor 18 Jahren hier eingetaucht, um dieses Gefängnis kennenzulernen. Rusty ist der wichtigste Grund, warum die Öffentlichkeit heute überhaupt etwas über San Pedro weiß. Ganz offen durfte er sich damals im Knast bewegen, niemand hat ihm etwas verheimlicht.

Und natürlich hat er alles mitbekommen. Die Drogen. Die tägliche Gewalt. Die Toten. Die Jacuzzis, die sich die reichen Insassen in ihren Luxusappartements leisten konnten. Die cracksüchtige Katze. Wer nicht besonders zartbesaitet ist, kann seinen Bericht lesen: Rusty hat ein Buch über seinen Gefängnisaufenthalt verfasst. An den Zuständen in San Pedro hat sich deswegen jedoch nichts geändert.

Rick

Ich bin Anfang 2020 zu Only Fun Facts gekommen. Meine Leidenschaft ist es, einen genaueren Blick auf unsere unglaublichen Fakten zu werfen. Wenn ich einen verblüffenden Fakt lese, ist es nicht unüblich, dass ich eine umwerfende Hintergrundgeschichte dahinter entdecke. Das teile ich gerne mit Euch, und ich hoffe, dass Dir unsere Geschichten gefallen.

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