Wikipedia ist die größte Enzyklopädie der Welt und sie ist frei zugänglich. Möglich machen dies nur die unzähligen Autoren und Moderatoren, die sich ehrenamtlich für den Hort des Wissens engagieren. Ein Mann sticht aus dieser Menge besonders hervor: Steven Pruitt, denn er verbesserte mehr als drei Millionen Wikipedia-Artikel. Hier ist seine Geschichte.
Steven Pruitts Rekord bringt Einfluss
Wikipedia umfasst aktuell bereits über 50 Millionen Artikel in 296 Sprachen. Annähernd sechs Millionen Artikel entfallen dabei auf die englischsprachige Wikipedia, wobei Steven Pruitt ins Spiel kommt. Denn er erweiterte und verbesserte über drei Millionen Artikel. Damit wirkte er etwa an jedem zweiten englischsprachigen Wikipedia-Artikel mit und verfasste sogar über 35.000 Artikel selbst.
So viel Engagement, ohne dafür auch nur einen Cent zu erhalten, ist wahrlich bemerkenswert. Doch nicht nur das! Da Wikipedia eine der reichweitenstärksten Webseiten der Welt ist, führt seine ehrenamtliche Arbeit tatsächlich auch zu Einfluss.
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Das fand auch das Time Magazine, das Steven Pruitt 2017 zu einer der 25 einflussreichsten Menschen im Internet kürte und stellt ihn damit auf eine Ebene mit Donald Trump, J. K. Rowling und Kim Kardashian, die ebenfalls zu dem erlesenen Kreis gehörten. Die englischsprachige Wikipedia verzeichnete in den letzten 12 Monaten 904 Millionen Unique Views, also rund 2,5 Millionen pro Tag. Im Schnitt dürften also täglich 1,25 Millionen Leser über einen Beitrag stolpern, an dem Steven Pruitt mitgewirkt hat, weshalb ihm und seinem Gedankengut tatsächlich ein gewisser Einfluss zugesprochen werden kann.
Wer ist Steven Pruitt?
Stephen Pruitt wirkt unter dem Pseudonym Ser Amantio di Nicolao, das gleich seine zweite Leidenschaft neben Wikipedia verrät, denn es handelt sich dabei um den Namen des Notars aus Puccinis Oper Gianni Schicchi. Nachdem der 34-jährige von seiner Arbeit im Archiv der US-amerikanischen Grenzschutzbehörde in San Antonio heim zu seinen Eltern kommt, die ihn stets bei seinem Schaffen unterstützt, widmet er beinahe drei Stunden täglich der Verbesserung der Wikipedia. Für die meisten Menschen klingt das nach viel Schinderei, doch Pruitt mag seine Routine und beschreibt sich selbst gern als Gewohnheitstier. Dennoch verbringt er nicht den gesamten Tag mit den Akten der Grenzschutzbehörde oder dem Schwarmwissen der Wikipedia. Denn obendrein fährt er regelmäßig von seinem Wohnort Mount Vernon ins nahe gelegene Washington D.C., um dort im Capitol Hill Chor zu singen.

Vor seiner aktuellen Tätigkeit besuchte er das College of William & Mary in Williamsburg im US-Bundesstaat Virginia, wo er 2006 einen Abschluss in Kunstgeschichte machte. Arbeit fand er zunächst aber nicht und so verbrachte er bereits zu dieser Zeit den halben Tag mit dem Verfassen und Editieren von Wikipedia-Einträgen. Doch was treibt ihn an?
Die Frage nach dem Warum
Eigenen Angaben in einem „Ask Me Anything!“ auf Reddit zufolge wurde er 2001 auf Wikipedia aufmerksam, also noch vor Beginn seiner Studienzeit im Jahr 2002. Immer wenn er sich zu einem Thema informieren wollte, konnte er beobachten, wie Wikipedia in den Suchergebnissen immer höher kletterte. Zu Beginn zweifelte er noch am Erfolg einer Enzyklopädie, an der einfach jeder mitwirken konnte. Doch die Neugier hatte ihn gepackt und er legte seinen ersten Account an, um sich an dem Projekt zu beteiligen.
Wissen für die Welt
Sein erster Artikel befasste sich mit seinem Ururururururgroßvater Peter Francisco, einem Portugiesen, der im Unabhängigkeitskrieg kämpfte und sich den Namen „Giant of the Revolution“ verdiente. Damit war der Grundstein für seine Autoren-Karriere gelegt und er begann, sein Wissen über Kunstgeschichte und Musik in die Wikipedia zu integrieren.

Mit fortschreitender Recherchetätigkeit schrieb er aber über alles, was ihn interessierte, um sein Wissen mit der Welt zu teilen. Schon 2004 sagte eine Kommilitonin über ihn, er habe ein intensives Bedürfnis, Wissen zu verbreiten. In dem Moment, in dem er etwas neues lernte, musste er es sofort an andere weitergeben.
Als Quellen nutzt Steven Pruitt für den Beginn gern andere Enzyklopädien, denn sie zeigen ihm, dass ein anderer Autor sein Thema ebenfalls erwähnenswert fanden. Wenn die Relevanz somit sichergestellt ist, beliest er sich hauptsächlich in themenspezifischen Büchern und wissenschaftlichen Magazinen.
Aber er bedient sich auch Quellen im Internet, sofern er ihnen vertraut, um ein Thema möglichst von allen Seiten beleuchten zu können.
Gibt es Momente der Erschöpfung?
Doch natürlich hat auch Steven Pruitt Momente, in denen er sich in seinen Stuhl zurücklehnt und sich fragt „Warum mache ich das eigentlich?“. Doch dann besinnt er sich zurück auf all die Artikel, die den Lesern dank ihm eine höhere Qualität bieten und besonders auf jene Themen, die zuvor fast gar nicht im Internet präsent waren.
Dann weiß er, dass er der Menschheit einen Dienst erwiesen hat und schöpft Motivation für neue Projekte. Er glaubt fest daran, dass Wikipedia die Welt verändert hat und gleichzeitig auch die Weise, wie über Wissen nachgedacht wird. Noch immer beeindruckt ihn der Grundgedanke der Enzyklopädie: Freies Wissen für Jedermann.
Wie sehen andere sein Hobby?
Noch immer ist Wikipedia ein geliebtes Hobby für ihn, auch wenn es einen guten Teil seiner Freizeit verschlingt. Inzwischen beschreibt sich der Autodidakt sogar selbst als editier-süchtig, denn ohne Wikipedia könnte er sich sein Leben nicht mehr vorstellen.
Doch wie sehen andere diese Leidenschaft? Zu Beginn habe man seine Tätigkeit oft belächelt, gibt er zu. Auch seine Eltern konnten seinen Drang nicht immer nachvollziehen, doch spätestens seit der Nominierung durch das Time Magazine erkennen alle die Relevanz seines Schaffens.
Seither widmen viele Zeitungen und auch Fernsehsender Steven Pruitt einen Beitrag. So wurde er beispielsweise anlässlich des 18. Geburtstags von Wikipedia zu CBS This Morning eingeladen.
Kritik
Doch bei aller Liebe zu seiner Community übt Pruitt auch Kritik. In Laufe seiner Karriere als Wikipedia-Autor hat er mitbekommen, wie sich der Ton der Gemeinschaft gegenüber Neulingen verändert hat.
Er nimmt rauere Umgangsformen wahr und zweifelt daran, dass er solch einen Elan entwickelt hätte, wenn er heute neu zur Gemeinschaft käme. Er wünscht sich wieder eine freundlichere Haltung gegenüber jungen Wikipedianern, sodass auch sie den Wow-Effekt erleben können, dem er damals verfiel.
Um trotzdem möglichst viele junge Menschen für Wikipedia zu begeistern und gleichzeitig für Qualität zu sorgen, lehrt Steven Pruitt Jungautoren das Bearbeiten von Artikeln. Dabei vermittelt er wichtige Inhalte wie das Erkennen von relevanten Themen, Quellenarbeit und das Einhalten formeller Vorgaben.
Auch Automatisierungsinstrumente, beispielsweise um Links zu einem neu geschriebenen Artikel in allen anderen Beiträgen zu platzieren, sind Teil seiner Workshops. Dadurch hofft er, den Siegeszug von freiem Wissen weiter vorantreiben zu können.
Steven Pruitt kämpft auch für mehr Geschlechtergerechtigkeit
Stephen Pruitt beschreibt sich als den typischen Wikipedia-Autor: jung, gebildet, mit Universitätsabschluss – und männlich. Denn tatsächlich gehören rund 90 Prozent der Freiwilligen dem männlichen Geschlecht an. Diese Imbalance zeigt sich leider auch in der Geschlechterverteilung der Artikel über Persönlichkeiten, denn nicht einmal 18 Prozent aller personenbezogenen Artikel beschäftigen sich mit Frauen.

Um dieser Ungleichheit entgegen zu wirken, verfasste er über 600 Artikel zu einflussreichen Frauen, die bislang nur wenig Beachtung fanden. Auch dieses Streben war ein Grund für das Time Magazine für Pruitts Nominierung.
Natürlich versucht auch Wikipedia selbst, den Mangel an Autorinnen und Artikeln über Frauen zu heilen. So soll das Projekt Women in Red dabei helfen, die Präsenz von Artikeln über versierte Frauen zu erhöhen. Der Name bezieht sich auf die roten Links bei Wikipedia, die aussagen, dass ein Thema oder eine Person einen eigenen Artikel verdient, dieser aber noch nicht geschrieben wurde. Ziel des Projektes ist es also, möglichst viele rot gefärbte Frauennamen in blau gefärbte zu verwandeln.
Wie editiert Steven Pruitt so viele Artikel?
Seine erste Bearbeitung – erinnert er sich dunkel – fand wahrscheinlich im Jahr 2004 statt. So genau kann er das leider nicht zurückverfolgen, da er vor seinem aktuellen Account diverse andere nutzte, jedoch immer wieder die Passwörter vergaß.
Teilt man nun die drei Millionen Artikel durch die Anzahl der Tage zwischen dem heutigen Datum und dem 1. Januar 2004, so kommt man auf 521 Edits pro Tag. Bei durchschnittlich drei Stunden am Tag wären das rund drei Bearbeitungen je Minute. Es ist also klar, dass dies nicht allein durch manuelle Arbeit geschehen kann – zumal er während des Studiums sicher weniger Zeit für die Wikipedia opfern konnte als heute.
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Wie er selbst sagt, sind die für Wikipedia verfügbaren Automatismen eine enorme Arbeitserleichterung. So nutzt er beispielsweise AutoWikiBrowser, um automatisiert Links zu setzen, die dann natürlich als Bearbeitung zählen. Wenn seine Internetverbindung gut ist, schafft er dadurch mehrere hundert Artikel in einer Stunde, wofür er sonst wahrscheinlich Monate bräuchte.
Zusätzlich gibt es Tools, die helfen Rechtschreib- und Grammatikfehler zu korrigieren oder um Karten zu Orten zu kodieren, die in Artikeln erwähnt werden. Aber für die Zukunft wünscht er sich von Wikipedia mehr Tools, um schlechte Artikel identifizieren und verbessern zu können.
FAQ
Steven Pruitt ist ein US-Amerikaner, der im Archiv der US-Grenzschutzbehörde arbeitet und wegen seiner millionenfachen Bearbeitungen auf Wikipedia 2017 vom Time Magazine zu einer der 25 einflussreichsten Personen im Internet gezählt wurde.
Steven Pruitt hat über 35.000 Beiträge selbst verfasst.
Inzwischen kommt Steven Pruitt auf über drei Millionen modifizierte Beiträge.
Nein, er erhält von Wikipedia kein Geld. Selbst Angebote, gegen Bezahlung einen Artikel zu schreiben, schlug er stets aus.
Nein, er nutzt auch von Wikipedia bereitgestellte Tools für automatisierte Bearbeitungen. Sonst wäre sein Rekord kaum zu schaffen gewesen.
Steven Pruitt lebt in Mount Vernon bei seinen Eltern nahe Washington D.C.
Wenn er nicht gerade arbeitet oder für Wikipedia Beiträge schreibt und editiert, singt er im Capitol Hill Chor in Washington D.C. oder widmet sich seiner Leidenschaft für die Oper.